Aus der "Rhön- und Saalepost" vom 27.05.2019

"Siegen durch Nachgeben"

Rund 25 Kinder und Jugendliche sowie einige Erwachsene in weißen und blauen Anzügen knien in einer Reihe auf dem Boden der Schulsporthalle Sandberg, der mit Matten ausgelegt ist. Eine Klangschale wird angeschlagen, deren dumpfer Ton erfüllt den Raum. Alle Anwesenden stehen auf und verbeugen sich, dann verteilen sie sich im Raum. "Gegenseitiger Respekt und die Rücksichtnahme aufeinander sind beim Ju-Jutsu ganz wichtig", erklärt Jan Keßler. Der 15-Jährige ist seit seinem dritten Lebensjahr beim Budo-Club aktiv, seit Herbst 2018 engagiert er sich zusätzlich als ehrenamtlicher Co-Trainer für die Kindergruppe.


Das eingangs beschriebene sogenannte "Angrüßen", welches für den unwissenden Betrachter zunächst ungewöhnlich anmuten mag, gehört beim Budo-Club-Sandberg fest zum Programm. Es dient dazu, den Alltag hinter sich zu lassen und sich ganz auf das Training einzustellen. Auch, dass man sich verbeugt, wenn man den Raum verlässt, ist Teil der Philosophie des Ju-Jutsu, dem sich der Club verschrieben hat.

Ein gutes Körpergefühl ist beim Ju-Jutsu wichtig
Ju-Jutsu, das ist die Kunst der waffenlosen Selbstverteidigung. Bei diesem Sport gelte es gemäß des Grundsatzes "Siegen durch Nachgeben", sich auf die Verhaltens- und Angriffsweisen des Gegenübers einzustellen und entsprechend darauf zu reagieren, erläutert Jan: "Hierbei steht nicht Schlagen im Vordergrund, sondern vielmehr ein gutes Körpergefühl". Dieses gute Körpergefühl, den Respekt und die Rücksichtnahme zu vermitteln, das ist auch das Ziel beim wöchentlichen Ju-Jutsu-Kindertraining, an dem bis zu 60 Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 14 Jahren teilnehmen.

Co-Trainer Jan Keßler beaufsichtigt hierbei die Sportler, macht Übungen vor, erklärt. Dabei ist es ihm und den Trainern wichtig, die Stunde abwechslungsreich zu gestalten. Sogar um Essen geht es dabei, wenn auch mit einem Augenzwinkern: "Bratwurst", ruft Trainer Willi Eisenmann, alle Sportler legen sich - einzeln- auf den Boden. Beim Kommando "Hamburger" legen sich drei übereinander, bei "Doppelwhopper" vier. Der Spaß und das Gelächter sind dabei natürlich garantiert, ebenso wie bei Dehnübungen auf "Önerweisebrönnerisch".

'Bodyguard', Klappmesser und Fußstoß
Ansonsten stehen klassische Ju-Jutsu-Griffe und -Übungen auf dem Plan, zum Beispiel der Fußstoß vorwärts oder der sogenannte 'Bodyguard', bei welchem immer zwei Personen nebeneinander her laufen und sich gegenseitig schützen. Außerdem lernen die Jungen und Mädchen etwa, wie man sich bei einem Sturz am besten abfängt, dass Flucht die beste Verteidigung ist und dass beim Abwehren eines Angriffes immer beide statt nur einer Hand zum Einsatz kommen sollten. Des Weiteren gehören typische Übungen für die Fitness, wie Klappmesser, Liegestützen und Strecksprünge, zum Programm. Auch Akrobatik ist Teil des Trainings, so hilft Jan den Kindern beim Kopfstand.
Was Ju-Jutsu von anderen Sportarten unterscheidet, erläutert Thomas Keßler, einer der Mitgründer des Sandberger Budo-Clubs, ebenfalls  Trainer im Club und Vater von Jan: "Ju-Jutsu ist, anders als zum Beispiel Fußball, ein Kontaktsport. Deshalb müssen wir als Trainer und Co-Trainer hier einige Dinge zusätzlich beachten. So ist es gut, dass wir  in der Regel bei jedem Training drei bis vier Trainer - darunter glücklicherweise eine Frau, die zudem Sozialpädagogin ist - und ein Co-Trainer sind". Infolgedessen wurde in Jans Co-Trainer-Ausbildung, die über drei Tage ging und aus Theorie- und Praxisteilen bestand, auch die Prävention vor Sexualmissbrauch thematisiert, ein Bereich, der zunehmend in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückt und wichtiger wird.
                    
Jan mag die Herausforderung und den Umgang mit Kindern
Was verbindet Jan, der die 9. Klasse des Rhön-Gymnasiums besucht, mit dem Begriff Ehrenamt? "Für mich bedeutet Ehrenamt, in meiner Freizeit mit anderen Menschen Zeit zu verbringen und ihnen etwas beizubringen".  So werden für die Kinder neben dem Training auch andere Aktionen wie zum Beispiel Wanderungen organisiert.

Jan selbst trainiert, wenn Gürtelprüfungen anstehen, bis zu fünf Mal in der Woche und hat sich so bereits den für sein Alter höchsten Gürtel - den blauen - erarbeitet. An seinem Sport und seinem Co-Trainer-Amt gefalle ihm die Herausforderung, dass man sich steigern könne und der Umgang mit Kindern. "Außerdem mag ich es, dass man sich miteinander messen kann und neue Leute kennen lernt", fügt Jan hinzu. Er hat Spaß an seinem Ehrenamt, das spürt und sieht man. Und wird sich auch weiterhin mit Respekt und Rücksichtnahme im Ju-Jutsu engagieren. Das nächste Angrüßen kommt bestimmt.


(Die Reporterin, Frau Kristina Kunzmann – von der Rhön- und Saalepost, war am Samstag, den 11.05.2019, beim Kindertraining von 16:30 Uhr bis 17:45 Uhr und interviewte Jan während des Trainings. Jan unterstütze Wille Eisenmann beim Trainieren der Gelb- und Orangegurte) Anmerkung von Thomas Kessler